Blog-n-Roll - Aus dem Leben eines FernsehredakteursBlog-n-Roll

Die Tragödie der Tragödie in Haltern

Der Absturz ist eine Tragödie, die Berichterstattung auch. Es führt einem die kaltherzige Macht von Mensch und Medien vor Augen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ein Co-Pilot, der sich und 149 Menschen in den Tod reißt. Und der Redakteur [statt „die Medien“, um die Gattung Mensch zu betonen], der mit seinem Handeln traurige Menschen wütend macht, sie traumatisiert und vorführt. Für die Quote. Für ein paar Sendeminuten, die es zu füllen gilt. Für ein Schulterklopfen des Vorgesetzten, der, wenn es um den eigenen Arsch ginge (i.e. wenn die grausamen Praktiken öffentlich würden), vermutlich auf moralische Distanz zu seinem Redakteur gehen und den nächsten einstellen würde, der an der Tür kratzt.
 
Ich war 22 Jahre alt, als mich ein CvD eines RTL-Magazins auf die Beerdigung eines GZSZ-Schauspielers schickte, der sich das Leben genommen hatte. Ich sollte als VJ mal schauen, was ich für Bilder kriege, „je näher desto besser, am besten mit ein paar O-Tönen“. Der Auftrag widerte mich an, doch ich traute mich nicht, den Dreh abzulehnen. Also fuhr ich zur Beerdigung. Beim Anblick der Angehörigen wurde mir klar, dass ich das nicht kann. Die Kamera blieb aus. Mit der Notlüge, die Trauergemeinschaft habe mich weggeschickt, trat ich vor den CvD. Der winkte ohne Worte ab, als habe er sagen wollen: Du musst noch viel lernen.
 
15 Jahre später – heute – habe ich viel gelernt, über die Medien und den Fernsehalltag. Seit zehn Jahren bin ich Fernsehredakteur. Ich weiß, wie schwer es ist, einen Fuß in die Tür der Sender zu bekommen. Ich weiß, wie man sich bei einigen Vorgesetzten behaupten muss, indem man gegenüber den Kollegen „noch einen draufsetzt“. Ich weiß wie menschenfressend, ausbeuterisch und zynisch die Branche ist sein kann, die zurecht immer wieder am Pranger steht. Eine klare Haltung kann den Job kosten. Ohne klare Haltung wird man allerdings lebenslang von solch bigotten Arschlöchern CvDs instrumentalisiert.
 
Die Vorfälle in Haltern, wo Redakteure offenbar Schüler mit Geld bestachen, um an Handyfotos der Trauerfeier zu gelangen, gehen mir so nah, weil es so nah ist. Haltern ist quasi nebenan, umme Ecke wie wir hier im Ruhrgebiet sagen. Und weil Haltern so nah ist und Haltern mir so nah geht, möchte ich über die Berichterstattung berichten, obwohl dazu so viel geschrieben wurde und ich eigentlich doch nur eines wollte: in Stille trauern. Eigentlich ist es ein Ereignis, das nicht vieler Worte bedarf und bei dem ohnehin Tatsache ist, dass es nicht viele Tatsachen gibt. Aber Emotionen.
 
Emotionen machen sich bei solchen Ereignissen auch in den sozialen Medien breit, wenn Trauer in Wut und Empörung umschlägt. Das ist mitunter beunruhigend, doch steckt in den sozialen Medien auch eine Chance. Die Chance, Fehlverhalten anzusprechen. Verhalten, welches früher untergegangen wäre. Warum nicht auch Klarnamen nennen, von denen, die traumatisierte Schüler mit Geld bestechen, die skrupelloses Witwenschüttlen (Interview von Unglücksopfern) betreiben, die selbst Klarnamen von Tätern veröffentlichen und deren Angehörige damit digital ruinieren? Vielleicht. Die Macht der Medien umkehren, indem man sie mit ihren eigenen Mitteln schlägt. Das wäre social media im wörtlichen Sinne – eine moralische Instanz, die der Fernsehbranche selbst entglitten scheint.
 
Doch wesentlicher ist es abseits des Digitalen, im Zwischenmenschlichen, solch menschenunwürdige Praktiken nicht mehr zu verschweigen. Weder als Betroffener, noch als Augenzeuge, Kameramann, Tontechniker, Redakteurskollege oder CvD. Das würde Fehlverhalten sicherlich reduzieren, woraus irgendwann wieder neues Vertrauen der Zuschauer wachsen könnte – und damit ein stückweit Verständnis dafür, wie schwierig es auch für Fernsehmacher ist, mit einer derartigen Tragödie umzugehen und angemessen darüber zu berichten. Nicht zuletzt wäre es auch einem signifikanten Teil der Fernsehschaffenden gerecht gegenüber, die ihren Job mit Anstand und Haltung praktizieren, aber immer wieder über einen Kamm geschert werden.
 

Foto: Jonas Ohlms

Foto: Jonas Ohlms/Mika Baumeister

 

sk: 27. März 2015 - 20:34 Uhr

Durchdrehen zur Weltmeisterschaft

Sein Geld damit zu verdienen, dahin zu reisen, wo andere Urlaub machen, das macht meinen Job schon zu einem Traumberuf. Doch das Leben als Fernsehfuzzi hat auch Schattenseiten: Man ist ständig unterwegs, ständig erreichbar, ständig flexibel – Alltag ist ein Fremdwort, es dominiert 24/7 die Unplanbarkeit des Privaten. Meine Freundin, Familie und Freunde können ein Lied davon trällern, wenn ich mal wieder spontan absagen muss. Das ist zuweilen bitter, richtig tragisch ist es aber, wenn die WM stattfindet. Dreharbeiten in London, Wien und Windhoek klingen auf Anhieb sexy, sind auch sexy, trösten mich aber wenig, wenn parallel das Ereignis läuft, auf das man vier Jahre lang wartet.

 

Vor der Weltmeisterschaft habe ich akribisch den gesamten Drehplan um wichtige – vor allem deutsche – Spiele herumgeplant. Eine Milchmädchenrechnung, denn es gibt diese besorgniserregenden Unwägbarkeiten des Drehalltags, die jeglicher Vorabplanung trotzen. So geschehen beim zweiten Gruppenspiel: Deutschland spielt gegen Ghana, das irgendwie ohne mich stattfindet.

 

Das Drama im Live-Ticker (nur nicht mehr live):

 

21.00h Anstoß in Brasilien, ich mit Kamerateam im Bus irgendwo zwischen Birmingham und London auf dem Weg zum Hotel. Habe mir den Platz neben dem Fahrer gesichert, um ihm die Tragik des Geschehens hautnah zu vermitteln. Mit „please give german Gummi“ versuche ich ihn scherzhaft zu ermutigen, uns schnellstmöglich ins Hotel zu befördern. Er schwärmt von der „german Autobahn“ und ich fühle mich verstanden.

 

21.03h Riesenidee: Ich gönne mir den mobilen Tagespass bei meinem Mobilfunkanbieter, um das Spiel im Livestream zu verfolgen. Muss dann aber schnell feststellen, dass das Spiel im Ausland aus rechtlichen Gründen nicht abrufbar ist. „Warumderscheißdann“ denke ich mir und verfluche moderne Technik, das öffentlich-rechtliche System, GEZ-Gebühren und Angela Merkel.

 

21.05h Busfahrer Mohammed bietet mir mit empathischem Blick sein Nackenhörnchen an. Als könnte ich jetzt schlafen!?

 

21.08h Statt Livestream habe ich nun den Liveticker via App. Für mich ist das nix. Ich sehe lieber anstatt zu lesen. Wollte ja auch nie Print machen, sondern schon immer Fernsehen. Fußball im Liveticker, das ist wie Erotikromane statt Pornos.

 

21.10h Mohammed, ein Mitdreißiger mit Wohlfühlfigur, Dauerlächeln und einem Conchita-Wurst-Bart, bietet mir den „Mo“ an und erzählt, dass er in Oxford studiert hat, ein Haus in Cambridge hat und eigentlich nur zum Spaß Fahrer ist. Den Spaß am Fahren merkt man ihm an. Er gibt ganz viel „german Gummi“.

 

21.25h Als Toni Kroos in Fortaleza aus 30 Metern abledert, ereignet sich in Höhe  Rieckmansworth, 14 Meilen (22 km) vor London, ein Drama: Mein Tonmann muss pinkeln.

 

21.29h Ich lasse mir die Wut über die Pinkelpause gegenüber dem Kamerateam nicht anmerken, vermute jedoch eine Verschwörung gegen mich. Inzwischen – mit etwas emotionalem Abstand – muss ich zugeben: Es war eine ehrliche Notdurft, mein Tonmann musste halt. Kostete trotzdem viereinhalb Minuten. Warum nur so viel stilles Wasser zum Abendessen!?

 

21.35h Mo(hammed) erzählt, dass er vor zwei Jahren in einem 911er geblitzt wurde. Mit 198 Meilen (316 km/h), ganze 200 km/h [!!!] über dem Tempolimit in England. Jetzt mache ich mir Sorgen und sage „don´t give too much german Gummi. It is just a football game“.

 

21.43h 43. Spielminute: Ankunft im Hotel. Ich renne – schneller als Götze – in die Lobby, auf der Suche nach Flachbildschirmen. Sehe aber nur eine chinesische Reis(e)gruppe in der Couchlandschaft und Rezeptionisten mit Begrüßungsgrinsen. Auf keinen Fall einchecken.

 

21.44h 44. Spielminute: Um die Ecke entdecke ich an der Bar einen Flachbildschirm, auf dem hochglänzende Hotelwerbefilmchen flimmern, davor ein Engländer, der in seinem Thunfischsalat stochert. Freundlich, aber betont, bitte ich den Barkeeper von Hotelwerbung auf WM zu schalten. Betont, aber freundlich, entgegnet er: „Yes sir, what a good idea. Who is playing?“. Nach meiner Antwort bricht bereits die Nachspielzeit an – der englische Salatesser, der indische Barkeeper und ich gucken jetzt Deutschland gegen Ghana, während mein Kamerateam eincheckt.

 

22.05h Der Engländer, Typ Staubsauger verkaufender Staubsaugerverkäufer, versucht mich in ein Gespräch über deutsches Bier zu verwickeln. Wenn der wüsste, was ich schon durch hab, denke ich. Mit starrem Blick auf den Bildschirm und sparsamen Antworten versuche ich ihm zu vermitteln, dass ich Fußball schauen will.

 

22.12h Alles gut. Der Engländer hat mich verstanden, er verabschiedet sich. Ich fieber mit meinem Kamerateam, es gibt Bier und Nougatschokolade.

Alles kommt schlimmer. Zum deutschen Achtelfinale gegen Algerien sitze ich „dank“ Drehplanänderungen im Flieger und werde mit dem Endergebnis erst am nächsten Morgen im Brüllton vom Piloten geweckt. Das erste WM-Spiel der Deutschen Nationalmannschaft, das ohne mich stattgefunden hat [mal abgesehen von meiner Säuglings- und Kleinkindphase, als ich noch fremdgesteuert von M und P agierte]. Das Leben eines Fernsehredakteurs ist manchmal wirklich kein Ponyhof…

sk: 7. Juli 2014 - 12:10 Uhr

Zeug, das die Welt nicht braucht

Asien fickt deinen Kopf. Brummenknatternrattern in Endlosschleife, duracellbetriebenes Treiben, stinkende Düfte und duftender Gestank. 16 Tage Südkorea, Japan, Thailand – meine Nase, meine Ohren und Augen wollen nicht mehr riechen, hören und sehen. Zugegeben, das mag das Alter (sechsunddreißigdreiviertel) mit sich bringen, hätten doch so etwas meine Sinnesorgane vor zehn Jahren noch gemütsmenschlich weggesteckt. Doch gestern war gestern und bei Dreharbeiten fällt mir so etwas heute besonders auf, da Ruhe ohnehin schon Mangelware ist. Mein sonst liebgewonnenes Ritual, mich allnächtlich vom Fernseher in den Schlaf rieseln zu lassen (Sender/Sendung/Sprache zweitrangig, Hauptsache es flimmert), findet hier erst gar nicht statt. Die Glotze bleibt aus.

 

Entschleunigung ist in Asien im wahrsten Sinne ein Fremdwort. Mehr noch: Ent-schleunigung, in deutschen Großstädten längst generationsübergreifender Sehnsuchtsbegriff, ist hier quasi Systemgegner, ein Feind der Reizüberflutung. Denn Reizüberflutung hat System. Vielleicht ist sie sogar das System. Die Asiaten sind Effizienzwesen, in Ameisenströmen produzieren und konsumieren sie so viele Dinge Zeug, dass sie gar nicht merken, wie sinnlos es eigentlich ist. Zeug, das das Kapital der Märkte fließen lässt. Zeug, das die Menschen – wie mein Onkel immer sagt – „am scheißen“ hält. Zeug, das uns zunehmend alles [ab]nimmt, auch den klaren Kopf. Konsum statt Kopf ist die Devise.

 

Mein Badezimmer im Hotel in Seoul ist ein Techniktempel mit viel Zeug. Damit man nie friert, erwärmt sich der Klodeckel, sobald man sitzt. Für chronisch verschwitzte Warmblüter wie mich ein Grauen, wenn man den Aus-Knopf nicht findet. Und ein umso größeres, wenn man auf der Bedienung, die komplexer ist als jede TV-Fernbedienung, die falschen Knöpfe drückt. Plötzlich springt die Rektaldusche an, die man mit Pfeiltasten hoch und runter bewegen kann, um milimetergenau das Poloch zu treffen. Ohne Scheiß. Wem das nicht reicht, der bleibt einfach sitzen, um sich anschließend den Hintern trocken föhnen lassen, mit individueller Wärmeregulierung, just push the (right) button. Ausprobiert, für ungut befunden, aber dennoch wohl bald auch in deutschen Ärschen vorzufinden. Technik für´n Arsch. Dann doch lieber Tamagotchis.

 

sk: 25. April 2014 - 19:17 Uhr

Schlafen in Seoul

Schlafen in Seoul

sk: 17. April 2014 - 11:15 Uhr

Schlaflos in Seoul

[2.10h] Der Gedanke, man würde träumen, aber dann doch festzustellen: schöner Gedanke – fuck – ich bin hellwach.

 

[2.17h] Der Gedanke, die Schlaflosigkeit mit dem Kamerateam zu teilen, um sich nicht so allein zu fühlen.

 

[2.17h] Der Gedanke, das Team könnte schlafen und ich könnte mich noch „alleiner“ fühlen wird verdrängt von dem Gedanken, bei whatsapp nach der letzten Onlinezeit zu schauen.

 

[2.18h] Der Gedanke, dass ein scheissjetlagichkannnichtschlafen-Gruppenchat bei whatsapp entstehen könnte hält vom vorletzten Gedanken wieder ab.

 

[2.23h] Der Gedanke, es nochmal zu versuchen und sich an das Kopfkissen zu löffeln.

 

[2.50h] Der Gedanke: Löffelchen mit Kopfkissen ist für´n Arsch!

 

[3.00h] Der Gedanke, seine Freundin anzuskypen – mit dem Risiko wehleidig zu wirken und sie (ungewollt) darin zu bestätigen, dass Männer Heulsusis sind.

 

[3.02h] Der Gedanke, aufzustehen, Wasser ins Gesicht zu werfen und dann seine Freundin anzuskypen, um nicht wehleidig zu wirken, aber gleichzeitig darauf zu lauern, dass sie mit der Frage „ist es bei dir nicht mitten in der Nacht?“ zum Wehleid einlädt.

 

[3.05h] Der Gedanke, besser erstmal nicht zu skypen.

 

[3.12h] Der Gedanke an Jürgen von der Lippe (kam überraschend).

 

[3.25h] Der Gedanke, wie man den Koreaner quälen könnte, der unten auf der Straße seine Rotze im Minutentakt hochzieht.

 

[3.26h] Der Gedanke, ob Daniela Katzenberger schnarcht.

 

[3.27h] Der Gedanke, ob Daniela Katzenberger gerade schnarcht.

 

[3.29h] Der Gedanke, ob man beim Dreh heute alle wichtigen Fragen gestellt hat – oder doch bloß wieder nur „wie fühlst du dich?“ fragte.

 

[3.35h] Der Gedanke an Sex.

 

[3.37h] Der Gedanke, das mit dem Gedanken an Sex hier besser wegzulassen und nur zu denken.

 

[3.39h] Der Gedanke, erstmal nach „Tricks gegen Schlaflosigkeit“ zu googlen.

 

[3.46h] Der Gedanke, die Gedanken in den blog zu schreiben.

 

[3.55h] Der Gedanke, den Gedanken, den rotznasigen Koreaner zu quälen, in die Tat umzusetzen.

 

[3.57h] [4.13h] [4.22h] [4.35h] Der Gedanke: Denk nicht so viel. Schlaf endlich, Junge.

sk: - 4:50 Uhr