Blog-n-Roll - Aus dem Leben eines FernsehredakteursBlog-n-Roll

Die Tragödie der Tragödie in Haltern

27. März 2015 - sk

Der Absturz ist eine Tragödie, die Berichterstattung auch. Es führt einem die kaltherzige Macht von Mensch und Medien vor Augen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ein Co-Pilot, der sich und 149 Menschen in den Tod reißt. Und der Redakteur [statt „die Medien“, um die Gattung Mensch zu betonen], der mit seinem Handeln traurige Menschen wütend macht, sie traumatisiert und vorführt. Für die Quote. Für ein paar Sendeminuten, die es zu füllen gilt. Für ein Schulterklopfen des Vorgesetzten, der, wenn es um den eigenen Arsch ginge (i.e. wenn die grausamen Praktiken öffentlich würden), vermutlich auf moralische Distanz zu seinem Redakteur gehen und den nächsten einstellen würde, der an der Tür kratzt.
 
Ich war 22 Jahre alt, als mich ein CvD eines RTL-Magazins auf die Beerdigung eines GZSZ-Schauspielers schickte, der sich das Leben genommen hatte. Ich sollte als VJ mal schauen, was ich für Bilder kriege, „je näher desto besser, am besten mit ein paar O-Tönen“. Der Auftrag widerte mich an, doch ich traute mich nicht, den Dreh abzulehnen. Also fuhr ich zur Beerdigung. Beim Anblick der Angehörigen wurde mir klar, dass ich das nicht kann. Die Kamera blieb aus. Mit der Notlüge, die Trauergemeinschaft habe mich weggeschickt, trat ich vor den CvD. Der winkte ohne Worte ab, als habe er sagen wollen: Du musst noch viel lernen.
 
15 Jahre später – heute – habe ich viel gelernt, über die Medien und den Fernsehalltag. Seit zehn Jahren bin ich Fernsehredakteur. Ich weiß, wie schwer es ist, einen Fuß in die Tür der Sender zu bekommen. Ich weiß, wie man sich bei einigen Vorgesetzten behaupten muss, indem man gegenüber den Kollegen „noch einen draufsetzt“. Ich weiß wie menschenfressend, ausbeuterisch und zynisch die Branche ist sein kann, die zurecht immer wieder am Pranger steht. Eine klare Haltung kann den Job kosten. Ohne klare Haltung wird man allerdings lebenslang von solch bigotten Arschlöchern CvDs instrumentalisiert.
 
Die Vorfälle in Haltern, wo Redakteure offenbar Schüler mit Geld bestachen, um an Handyfotos der Trauerfeier zu gelangen, gehen mir so nah, weil es so nah ist. Haltern ist quasi nebenan, umme Ecke wie wir hier im Ruhrgebiet sagen. Und weil Haltern so nah ist und Haltern mir so nah geht, möchte ich über die Berichterstattung berichten, obwohl dazu so viel geschrieben wurde und ich eigentlich doch nur eines wollte: in Stille trauern. Eigentlich ist es ein Ereignis, das nicht vieler Worte bedarf und bei dem ohnehin Tatsache ist, dass es nicht viele Tatsachen gibt. Aber Emotionen.
 
Emotionen machen sich bei solchen Ereignissen auch in den sozialen Medien breit, wenn Trauer in Wut und Empörung umschlägt. Das ist mitunter beunruhigend, doch steckt in den sozialen Medien auch eine Chance. Die Chance, Fehlverhalten anzusprechen. Verhalten, welches früher untergegangen wäre. Warum nicht auch Klarnamen nennen, von denen, die traumatisierte Schüler mit Geld bestechen, die skrupelloses Witwenschüttlen (Interview von Unglücksopfern) betreiben, die selbst Klarnamen von Tätern veröffentlichen und deren Angehörige damit digital ruinieren? Vielleicht. Die Macht der Medien umkehren, indem man sie mit ihren eigenen Mitteln schlägt. Das wäre social media im wörtlichen Sinne – eine moralische Instanz, die der Fernsehbranche selbst entglitten scheint.
 
Doch wesentlicher ist es abseits des Digitalen, im Zwischenmenschlichen, solch menschenunwürdige Praktiken nicht mehr zu verschweigen. Weder als Betroffener, noch als Augenzeuge, Kameramann, Tontechniker, Redakteurskollege oder CvD. Das würde Fehlverhalten sicherlich reduzieren, woraus irgendwann wieder neues Vertrauen der Zuschauer wachsen könnte – und damit ein stückweit Verständnis dafür, wie schwierig es auch für Fernsehmacher ist, mit einer derartigen Tragödie umzugehen und angemessen darüber zu berichten. Nicht zuletzt wäre es auch einem signifikanten Teil der Fernsehschaffenden gerecht gegenüber, die ihren Job mit Anstand und Haltung praktizieren, aber immer wieder über einen Kamm geschert werden.
 

Foto: Jonas Ohlms

Foto: Jonas Ohlms/Mika Baumeister